Wiesbadener Tagblatt: Therapie gegen Stress und Einsamkeit

08.02.2010 – WIESBADEN von Thomas Karschny

FREI-TANZ Seit fünf Jahren ermöglicht die Initiative 25- bis 65-Jährigen unbeschwerte Schritte auf dem Parkett. So lange es Menschen gibt, gilt Tanzen als schöner und abwechslungsreicher Zeitvertreib. Heutzutage ist es vor allem die junge Generation, die regelmäßig zum „Abzappeln“ in die Diskotheken stürmt. Aber auch Senioren-Tanznachmittage gewinnen in unserer
Gesellschaft zunehmend an Bedeutung.
Doch was geschieht in den Generationen dazwischen? Jenseits der Ü-
30-Party sind plötzlich die Tanzangebote rar. Das ist auch Isabelle
Fritzsche schon vor einiger Zeit aufgefallen. Zusammen mit ihrem
Mann Klaus Niemann hat sie vor fünf Jahren das Wiesbadener
Tanzprojekt „Frei-Tanz“ ins Leben gerufen, welches sich vor allem an
Interessenten zwischen 25 und 65 wendet. Mit Erfolg.
Die etwa zwölf Mal im Jahr angebotenen „Frei-Tänze“ sind regelmäßig
gut besucht, so auch der Jubiläumstanzabend im Wiesbadener
Kulturforum am vergangenen Samstagabend. Rund 200 Gäste tanzten
bis in den Morgen hinein. Als besonderes Bonbon erwies sich der
Aufritt des Künstler- Duos Farfalle, das mit einer in farbenprächtiges
Licht getauchten Show zwischen Jongleurskunst und Akkordeonspiel
das Publikum verzauberte.
„Als wir mit Frei-Tanz angefangen haben, gab es für die Altersgruppe
40 bis 50 kaum Angebote“, erinnert sich Fritzsche an die ersten
Schritte des Projekts. „In die Disko geht man in dem Alter ja meist nicht
mehr. Die Musik, die Leute – da passt man einfach nicht mehr rein“,
sagt Fritzsche. Auch das rauchfreie Tanzen habe sie zu Beginn – die
inzwischen erlassenen Nichtraucherschutzgesetze waren damals noch
Zukunftsmusik – dazu motiviert, eine eigene Tanzveranstaltung ins
Leben zu rufen.
Frei-Tanz definiere sich aber über weit mehr als nur über die
Altersgruppe. Wichtig: Tanzen sei, wie der Name bereits verrate, frei
und ohne jegliche Wertung möglich. Jeder tanze so wie er könne und
wolle. Allein, als Paar oder in der Gruppe. Tanzkurserfahrungen
würden ganz bewusst nicht vorausgesetzt.
„Als ich davon gehört habe, dachte ich mir, da musst Du unbedingt
hin“, erzählt Matthias Vogt, inzwischen seit mehreren Jahren
begeisterter Frei-Tanz-Fan und ehrenamtlicher Helfer bei den
Tanzabenden: „Ich finde es ganz toll, dass es auch mal einen Raum
gibt, in dem man sich etwas trauen kann, ein Raum, in dem man ohne
Bewertung bleibt.“ Und tatsächlich tanzen an diesem Abend viele im
ansonsten mitunter von der Midlife-Crisis geprägten Alter frei und
unbeschwert. Andere helfen ehrenamtlich beim Getränkeausschank,
sowie vor und nach der Veranstaltung beim Auf- und Abbau mit. Gemeinschaft macht eben glücklich.

Während unter dem abwechslungsreichen Sound der DJs CarloM und
CarstenM der Saal bebt, läuft in einem kleinen Nebenraum gleichzeitig
mit „Tanz-Dich-Selbst“ eine kleinere und meditativ-jazzig angehauchte
Tanzsession. „Da kommen häufig Leute auf uns zu und sagen: `Das ist
super, wie Ihr das macht. Gemeinsam. Das ist das Modell der
Zukunft´“, erzählt Klaus Niemann und ergänzt schmunzelnd: „Für mich
ist es auch immer wieder schön, diese positive Resonanz zu erfahren.
Da fühlt man sich selbst ein bisschen glücklich – und das kommt immer
wieder.“
Niemann selbst hat erst mit 50 das Tanzen erlernt. Ganz anders als
seine Frau, die schon immer eine begeisterte Tänzerin war. Schon als
kleines Kind habe sie immer zum Ballett gewollt, erinnert sich die heute
50-Jährige: „Auch während des Studiums bin ich, gerade vor
Prüfungen, immer noch abends weggegangen, um mich einfach frei zu
tanzen.“. Diese Möglichkeit will die Diplom-Psychologin mit Frei-Tanz
auch anderen Menschen zu Teil werden lassen.
„Bei Frei-Tanz kann ich sein, wie ich bin. Hier finde ich auch immer
andere in meiner Altersgruppe und bin Teil einer Gemeinschaft“, erklärt
Fritzsche das hinter Frei-Tanz stehende Erfolgsgeheimnis. Einfach mal
abschalten, den Arbeitsstress hinter sich lassen, sich von der Enge des
Alltags frei machen. Gerade in wirtschaftlich schlechteren Zeiten
rückten Werte wie Familie, Gesundheit und Gemeinschaft wieder
stärker in den Vordergrund, betont Fritzsche. Wohlstand führe nicht
automatisch zu Glückserlebnissen. Diesen Gedanken wolle man so
auch in die Zukunft tragen. „Ich glaube“, sagt die Diplom-Psychologin,
„dass sich viel weniger Menschen in eine therapeutische Behandlung
begeben müssten.

Quelle / Copyright: https://www.wiesbadener-kurier.de/region/themen/mein-verein/print_8373621.htm

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